Samstag, 5. Mai 2007

Gintimitäten

Gintimitaeten13.41 ist eine gute Zeit für Gin Tonic. Der erste Schluck tut sich schwer, verharrt eine Sekunde in der Kehle und zaudert. Er weiß nicht, ob er rein oder raus soll. Erliegt der Schwerkraft und landet. Breitet sich aus. Fühlt sich wohl. Bleibt, wo er ist. Der zweite Schluck wärmt. Auf den dritten Schluck warte ich noch.

Es wird ein langer Tag, von dem ich weiß, dass ich ihn mit nichts füllen werde außer mit Gin und Worten. Beides liegt mir im Magen. Meine Worte sind mein bester Freund und mein ärgster Feind. Ich hadere mit ihnen, den Monologen, den Selbstgesprächen, den Vorwürfen. Es ist ein Tag, an dem ich mit niemandem reden will. Nicht mal mit mir. Es ist ein Tag, den ich verschenke an die Schwerelosigkeit meines Glases und die Ruhelosigkeit meiner Worte.

Gin und wie alles begann.

Damals, als ich neunzehn war, spielte ich mit Kindern Theater. Mit Kindern aus wohlhabenden Familien, die viel zu gut erzogen und schrecklich einsam waren. Sarah war elf und hatte einen viel zu großen Mund und einen von-Nachnamen. In einem Sommer, der viel zu heiß war, radelte ich 20 Kilometer, um sie ihn den Arm zu nehmen, weil sie gerade erfahren hatte, dass ihre Eltern sich scheiden lassen. Vanessa war dreizehn und sagte nie, wie es ihr geht. Sie wirkte immer elegant und gelassen, doch als sie auf der Bühne stand und ihre selbst geschriebenen Worte aus ihr hervorperlten, zeigte sie ihr Herz. „Sperrt mich nur hinter Gitter, schließt vor mir alle Schranken, doch niemals ändert ihr meine Gedanken“ sang sie sehnsüchtig, doch ihre streng aussehende Großmutter verzog keine Miene.

Damals, als ich neunzehn war, stopfte ich mir einen dicken Pullover unter ein Männerhemd, klebte einen Schnurrbart auf und verwandelte mich in Waldemar Duvall. Ein dicker, alter Mann, der in Italien lebte, eine Geliebte namens Georgina Grassi hatte und seine Frau, eine alternde Opern-Diva mit großem Alkoholproblem, verabscheute. Die Schauspiel-Lehrerin, eine zauberhafte Person in zarten Frühlingskleidern, sagte, ich hätte mich herrlich ausgestopft und lobte vor allem meinen dicken Arsch. Ich erzählte ihr nie, dass ich den nicht ausgestopft hatte.

Damals, als ich neunzehn war, sang ich das erste Mal auf einer Bühne, gemeinsam mit meiner immer betrunkenen Frau, einer Vierzehnjährigen mit langen Beinen. Den Text hatten wir gemeinsam geschrieben, ich kenne ihn heute noch, zehn Jahre später, ebenso wie die Melodie, aber die Vierzehnjährige, deren Namen ich vergessen habe, die kenne ich nicht mehr. Wir sangen über Liebe, die vergeht, über Alkohol, der alles zerstört, über Abwesenheit und Einsamkeit, über Chancen und Möglichkeiten. „Du riechst wie eine Flasche Gin, was hat denn das für einen Sinn? Und obendrein bist du noch dumm, zu Kopf steigt dir der viele Rum“, warf ich ihr in glockenhellem Sopran vor, damals, als ich neunzehn war und meine Stimme noch nicht von zu viel Zigaretten rau und dunkel geworden war. Ich sang von Gin, aber wusste nicht, wie er schmeckt, kannte noch nicht seine Schwerelosigkeit. Zehn Jahre später rann der erste Schluck bittersüß meine Kehle runter und mietete sich in mir ein.

Gin und wie alles begann.

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