Dreckige Fünfzig
P. hat eine neue Freundin. Und das meine ich ironisch, weil er sie „seit irgendwann im Herbst“ hat, was in meinen Augen nicht neu, sondern mehr als alt ist – und auch das ist ironisch gemeint, weil seine neue Freundin 24 Jahre älter ist als ich. Der hoffentlich mitdenkende und Zusammenhänge begreifende Leser hat jetzt vielleicht geschnallt, dass P. auch um einiges älter als ich gewesen sein muss, wenn er mit seiner Neuen nicht gerade einen Mutter-Komplex auslebt, den er aber nicht hat – nur, wenn sie ihn nervt, also eigentlich immer, aber das ist hier nicht das Thema, auch nicht unser Altersunterschied. Es geht darum, dass er eine neue Freundin hat. Das zerstört meinen Glauben an Gott, an die Schwerkraft und an Dieter Bohlen – in genau dieser Reihenfolge. Mein Glaube wäre vielleicht nicht so erschüttert, wenn die Dinge umgekehrt wären, also Dieter Bohlen alleine und ich in der Jury von „Deutschland sucht den Superstar“, aber so ist es nicht, denn P. hat eine neue Freundin, ich bin allein und Dieter Bohlen darf noch immer schlecht singende Hupfdohlen zur Sau machen und ich nicht.
Ich will mich nicht damit rühmen, dass ich damals, an diesem heißen Tag im Juni, zu P. sagte, dass er nicht meine Zukunft ist. Ganz im Gegenteil: Es hat mir das Herz gebrochen, als ich ihn das letzte Mal umarmte und er in den Zug stieg, damals, als die Sonne in dieser piefigen Kleinstadt unterging, in der wir uns bei Bier und Dorfmief das letzte Mal in die Augen sahen. Es geht darum, dass ich diejenige war, die ausgesprochen hat, dass es kein UNS mehr gibt, aber er derjenige ist, der ein neues UNS gefunden hat, während ich einfach nur ICH bin.
An irgendeinem mittelschweren Sonntag ein halbes Jahr danach, es mag auch Samstag gewesen sein, telefonierte ich mit P. Schon Wochen zuvor hatte ich überlegt, ihn zu fragen, ob es jemanden in seinem Leben gibt, aber davor gescheut. Es geht mich einfach nichts an. Aber an diesem Tag war meine Zunge gelöst und meine Neugier groß, also fragte ich – und erfuhr von seiner neuen Freundin. Meine erste Reaktion war genau so, wie P. mich kennt. Unverschämt, unumwunden, ungemein witzig. „Du bist alt, du bist dick, du bist hässlich – warum hast du eine Beziehung und ich nicht?“ fragte ich, und er lachte sein vertrautes Lachen und kostete den Moment aus, in dem ich ein kleines bisschen neidisch, eifersüchtig und erstaunt war und er sich ein kleines bisschen freute.
Ich gönne ihm sein Glück von Herzen. Es war keine Floskel, als ich sagte: „Lass uns Freunde bleiben“. Ich habe es so gemeint, weil meine Liebe zu ihm nie aufhörte. Sie hat sich nur verändert. Es gibt Menschen, die sind sich so vertraut, dass jede Geste vorhersehbar, jeder Gedanke vom anderen gedacht wird, und solche Menschen waren wir. Sind wir. Irgendwann in den fünfeinhalb Jahren unserer Beziehung wurden wir Freunde und merkten nicht, dass das alles war, was uns ausmachte. Eine liebevolle Freundschaft, aber keine leidenschaftliche Liebe.
Und trotzdem ist es so, dass es nicht fair ist. Wie kann ein Mann mich so schnell überwinden? Ich finde, ein Jahr Trauerzeit ist absolut angemessen. Zwölf Monate schwarze Kleidung, tränenschwere Komm-zu-mir-zurück-Anrufe und bierselige Nachrichten auf der Mailbox, für die man sich am Tag danach das Leben nehmen will. SO sieht eine Trennung aus. Es ist doch so: Wer drei Monate nach einer Trennung die nächste Beziehung anfängt, ist ein Schwein und hat nie richtig geliebt. Wer nicht bei dreikommaneun Promille vor meinem Foto sitzt, Suizidgedanken hat und bei „Kuschelrock 59“ bitterliche Tränen weint, hat mich nicht richtig geliebt. Jeder meint, er wäre unvergesslich. Aber ich bin es wirklich – fragen sie P.!
Letztes Wochenende in glühend heißer Sonne. Ich hadere mit meinem Kater, meine Schwester ist nach einem Bier betrunken. Ein Kellner baggert sie an, sie schäkert mit ihm. Als er weggeht, sagt sie promilleleicht: „Eigentlich ist er dein Beuteschema. Er ist alt, dick und hässlich“, und lacht sich kaputt. Ich lachte mit und erzähle, dass die neue Freundin von P. 53 ist, und sie, sie lacht wieder. Mit einem Knoten in der Zunge verdreht sie Buchstaben und versucht zu wiederholen, was ich sagte: „Was? Sie ist dreckige Fünfzig?“
Insgeheim finde ich das lustig. Ziemlich sogar. Weil es nur menschlich ist, dass man ein klitzekleines bisschen über die Neue lästert. Weil ich mich ein wenig darüber gefreut habe, dass jemand anderes etwas Gemeines über seine Neue sagte. Weil sie jetzt all das hat, was ich doch ziemlich vermisse. Zum Beispiel einen Mann neben sich auf der Couch, der mit glänzenden Augen „Deutschland sucht den Superstar“ guckt und ihr auf die dreckigen Fünfziger-Schenkel haut, wenn Dieter Bohlen einen Kalauer aus der Solarium gebräunten Nase rotzt. Weil ich nur mir auf meine dreckigen Dreißiger-Schenkel haue. So fest, dass blaue Flecken bleiben, die aber niemand sieht, vor allem nicht P.
Das hier ist nur für dich, P.
Weil ich mich wirklich für dich freue.
Und Dieter Bohlen sicher auch.
Ich will mich nicht damit rühmen, dass ich damals, an diesem heißen Tag im Juni, zu P. sagte, dass er nicht meine Zukunft ist. Ganz im Gegenteil: Es hat mir das Herz gebrochen, als ich ihn das letzte Mal umarmte und er in den Zug stieg, damals, als die Sonne in dieser piefigen Kleinstadt unterging, in der wir uns bei Bier und Dorfmief das letzte Mal in die Augen sahen. Es geht darum, dass ich diejenige war, die ausgesprochen hat, dass es kein UNS mehr gibt, aber er derjenige ist, der ein neues UNS gefunden hat, während ich einfach nur ICH bin.
An irgendeinem mittelschweren Sonntag ein halbes Jahr danach, es mag auch Samstag gewesen sein, telefonierte ich mit P. Schon Wochen zuvor hatte ich überlegt, ihn zu fragen, ob es jemanden in seinem Leben gibt, aber davor gescheut. Es geht mich einfach nichts an. Aber an diesem Tag war meine Zunge gelöst und meine Neugier groß, also fragte ich – und erfuhr von seiner neuen Freundin. Meine erste Reaktion war genau so, wie P. mich kennt. Unverschämt, unumwunden, ungemein witzig. „Du bist alt, du bist dick, du bist hässlich – warum hast du eine Beziehung und ich nicht?“ fragte ich, und er lachte sein vertrautes Lachen und kostete den Moment aus, in dem ich ein kleines bisschen neidisch, eifersüchtig und erstaunt war und er sich ein kleines bisschen freute.
Ich gönne ihm sein Glück von Herzen. Es war keine Floskel, als ich sagte: „Lass uns Freunde bleiben“. Ich habe es so gemeint, weil meine Liebe zu ihm nie aufhörte. Sie hat sich nur verändert. Es gibt Menschen, die sind sich so vertraut, dass jede Geste vorhersehbar, jeder Gedanke vom anderen gedacht wird, und solche Menschen waren wir. Sind wir. Irgendwann in den fünfeinhalb Jahren unserer Beziehung wurden wir Freunde und merkten nicht, dass das alles war, was uns ausmachte. Eine liebevolle Freundschaft, aber keine leidenschaftliche Liebe.
Und trotzdem ist es so, dass es nicht fair ist. Wie kann ein Mann mich so schnell überwinden? Ich finde, ein Jahr Trauerzeit ist absolut angemessen. Zwölf Monate schwarze Kleidung, tränenschwere Komm-zu-mir-zurück-Anrufe und bierselige Nachrichten auf der Mailbox, für die man sich am Tag danach das Leben nehmen will. SO sieht eine Trennung aus. Es ist doch so: Wer drei Monate nach einer Trennung die nächste Beziehung anfängt, ist ein Schwein und hat nie richtig geliebt. Wer nicht bei dreikommaneun Promille vor meinem Foto sitzt, Suizidgedanken hat und bei „Kuschelrock 59“ bitterliche Tränen weint, hat mich nicht richtig geliebt. Jeder meint, er wäre unvergesslich. Aber ich bin es wirklich – fragen sie P.!
Letztes Wochenende in glühend heißer Sonne. Ich hadere mit meinem Kater, meine Schwester ist nach einem Bier betrunken. Ein Kellner baggert sie an, sie schäkert mit ihm. Als er weggeht, sagt sie promilleleicht: „Eigentlich ist er dein Beuteschema. Er ist alt, dick und hässlich“, und lacht sich kaputt. Ich lachte mit und erzähle, dass die neue Freundin von P. 53 ist, und sie, sie lacht wieder. Mit einem Knoten in der Zunge verdreht sie Buchstaben und versucht zu wiederholen, was ich sagte: „Was? Sie ist dreckige Fünfzig?“
Insgeheim finde ich das lustig. Ziemlich sogar. Weil es nur menschlich ist, dass man ein klitzekleines bisschen über die Neue lästert. Weil ich mich ein wenig darüber gefreut habe, dass jemand anderes etwas Gemeines über seine Neue sagte. Weil sie jetzt all das hat, was ich doch ziemlich vermisse. Zum Beispiel einen Mann neben sich auf der Couch, der mit glänzenden Augen „Deutschland sucht den Superstar“ guckt und ihr auf die dreckigen Fünfziger-Schenkel haut, wenn Dieter Bohlen einen Kalauer aus der Solarium gebräunten Nase rotzt. Weil ich nur mir auf meine dreckigen Dreißiger-Schenkel haue. So fest, dass blaue Flecken bleiben, die aber niemand sieht, vor allem nicht P.
Das hier ist nur für dich, P.
Weil ich mich wirklich für dich freue.
Und Dieter Bohlen sicher auch.
Nella Niemandsland - 25. Mai, 06:26
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809 x gelesen - 8 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
katissima - 25. Mai, 10:50
Du bist ein Drecksstück!
erstens hast du vergessen zu erwähnen, dass J. dir lieber an den Haaren ziehen würde als dir auf die Schenkel zu klopfen, und eigentlich stehst du da auch mehr drauf ;) also so what? Dann hast du vergessen zu erwähnen, dass J. sich drum reizt mit dir auf der Couch zu liegen ;) und mit 4,5 Promille weinend vor deinem Foto sitzt, sich sogar deine eigene Showeinlage von "Österreich sucht Nella den Superstar" anhört und vor Sehnsucht nach dir, nach der nächsten Flasche Wodka greift. Sie liebevoll den Kühlschrank mit Cola light, Prosecco und Gin für dich füllt, damit du dich heimisch bei ihr fühlst, denn das machen Menschen, die verbunden sind für die Ewigkeit. Und? Sie wird immer lachen, trauern, weinen, feiern, lieben - eine Ewigkeit, mit dir und um dich, denn das ist für die Ewigkeit! Was brauchst du P.? Wer ist P.? Was kann P., ausser die nächste aufreizen anstatt ein Jahr in Trauer zu leben wie es dir gebührt. ;) Ich küsse dich, du Drecksstück!
Mukono - 25. Mai, 19:27
schön geschrieben
ist das alle male, so typisch Nella, kann man ja schon sagen, locker, sehr subjektiv und leidenschaftlich. Da ich schon auf die dreckige Sechzig zugehen, kann ich mit der Weisheit meiner Jahre und meinen Erfahrungen sagen; zum einen, in den Zeiten, in denen man ein ICH ist, entwickelt man sich am meisten, sozusagen ungestört,
beim UNS wird man doch sehr oft gehemmt,
zum anderen, eine junge Geliebte ist etwas sehr anstrengendes für einen alten Mann.
Außerdem trauern Männer grundsätzlich anders als Frauen. Diese weiden sich möglichst jahrelang in ihrer Trauer, aber mehr so oberflächlich, höchstens null acht Promille. Mann leidet viel intensiver, vier komma fünf, und stürzt sich gewissermaßen aus tiefer Verzweiflung so schnell wie möglich in eine neue Liason... um zu vergessen, sonst würde er gar nicht überleben können.
lächelt Mukono
beim UNS wird man doch sehr oft gehemmt,
zum anderen, eine junge Geliebte ist etwas sehr anstrengendes für einen alten Mann.
Außerdem trauern Männer grundsätzlich anders als Frauen. Diese weiden sich möglichst jahrelang in ihrer Trauer, aber mehr so oberflächlich, höchstens null acht Promille. Mann leidet viel intensiver, vier komma fünf, und stürzt sich gewissermaßen aus tiefer Verzweiflung so schnell wie möglich in eine neue Liason... um zu vergessen, sonst würde er gar nicht überleben können.
lächelt Mukono
DrYes - 26. Mai, 16:03
@Mukono: Ob jemand anstrengend ist, das ist meiner Erfahrung nach keine Frage des Alters. ;-)
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FrauHausH - 25. Mai, 23:16
*schmunzel* "Kennen und gekannt gewerden." Mehr fällt mir irgendwie nicht dazu ein. Vielleicht noch dieses grässsssliche Wort, das mit den fünf Buchstaben? Das, dass nicht vergeht, selbst wenn man ehrlich ist.....
schlauschiesser - 25. Mai, 23:28
„Lass uns Freunde bleiben“
ARGH!
Wie ich diesen Satz hasse. Es gibt nichts schlimmeres was eine Frau einem Mann sagen kann.
Ich könnte mich schreiend wälzen, wenn diese Worte erklingen, bedeuten sie doch immer und ausnahmslos etwas Schlechtes.
Vielleicht bin ich aber im Moment auch nur etwas hypersensibel, weil ich in einer Situation stecke, in der dieser Satz auch schon gefallen ist.
Es grüßt
der Schlauschiesser
Wie ich diesen Satz hasse. Es gibt nichts schlimmeres was eine Frau einem Mann sagen kann.
Ich könnte mich schreiend wälzen, wenn diese Worte erklingen, bedeuten sie doch immer und ausnahmslos etwas Schlechtes.
Vielleicht bin ich aber im Moment auch nur etwas hypersensibel, weil ich in einer Situation stecke, in der dieser Satz auch schon gefallen ist.
Es grüßt
der Schlauschiesser
Nella Niemandsland - 25. Mai, 23:30
Es hängt ja immer davon ab, wie es gemeint ist. Ich habe gerade eben mit P. über meinen Text gesprochen - und er meinte unter anderem genau das, was ich schrieb: dass wir uns lieb haben. Und ehrlich gesagt ist das das einzige, das zählt - Platittüden hin oder her. Wir bleiben Freunde.
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schlauschiesser - 26. Mai, 15:11
Ich bin sicher, daß es in der Mehrzahl der Fälle genau so gemeint ist.
Aber er bedeutet eben immer, daß etwas größeres unwiderruflich vorbei ist bzw. gar nicht erst entstehen wird. Und das zu hören tut immer weh.
Als meine (Noch-)Frau es gesagt hat, meinte sie es ernst, denn wir sind Freunde. Trotzdem war in diesem Moment klar, daß unsere Ehe vorbei ist.
Es gibt in der Vergangenheit noch einige Gelegenheiten, bei denen ich diesen Satz gehört habe (gesagt habe ich ihn nie) und bei jedem Mal hat sich meine Abneigung verfestigt.
Es grüßt
der Schlauschiesser
P.S.: irgendwas an der Kommentarfunktion scheint nicht zu gehen. Ich bekomme immer die Meldung "Ungültige E-Mail-Adresse des Empfängers. Die E-Mail konnte nicht versendet werden.". Trotzdem wird der Kommentar korrekt eingetragen.
Aber er bedeutet eben immer, daß etwas größeres unwiderruflich vorbei ist bzw. gar nicht erst entstehen wird. Und das zu hören tut immer weh.
Als meine (Noch-)Frau es gesagt hat, meinte sie es ernst, denn wir sind Freunde. Trotzdem war in diesem Moment klar, daß unsere Ehe vorbei ist.
Es gibt in der Vergangenheit noch einige Gelegenheiten, bei denen ich diesen Satz gehört habe (gesagt habe ich ihn nie) und bei jedem Mal hat sich meine Abneigung verfestigt.
Es grüßt
der Schlauschiesser
P.S.: irgendwas an der Kommentarfunktion scheint nicht zu gehen. Ich bekomme immer die Meldung "Ungültige E-Mail-Adresse des Empfängers. Die E-Mail konnte nicht versendet werden.". Trotzdem wird der Kommentar korrekt eingetragen.
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