Montag, 10. September 2007

Ein Sommernachtstraum

SommernachtstraumER hatte an diesem Tag noch nicht aus dem Fenster geblickt, obwohl er es normalerweise tat, aber dieser Sonntag war bleiern und zäh. Er war zu spät aufgestanden, und das mit dem linken Fuß, was ihm nicht recht war, denn er fühlte sich fremd, als er in den Spiegel blickte und sich gedankenverloren über die Bartstoppeln strich. Koffein peitschte ihn hoch, ließ ihn Gedanken tanzend neue Ideen fangen, fixieren, festhalten, und er saß da, stundenlang, starr, schreibend, auf dem schwarzen Stuhl mit dem Blick auf die blasse Wand, die er abwesend alleine anstierte. Dann kam sie ihm in den Sinn, mit den großen Augen und dem zu lauten Lachen, und die Phantasie fing ihn ein wie ein Netz, gesponnen aus lauen Sommernächten der Vergangenheit, die einst erfüllten. „Du sangst im Mondlicht unter ihrem Fenster mit falscher Stimme Lieder falscher Liebe; du stahlst den Abdruck ihrer Phantasie“, und er tippte mit flinken Fingern zarte Zeilen, um sie in sein Netz zu holen, das er einst gesponnen und nie entwirrte.

SIE hatte früh am Morgen gewartet, dass die Dunkelheit vergeht, die der Schlaf ihr nicht geschenkt, fünf Uhr morgens und die Sonne zart am Erwachen, mit trockenen Augen spähte sie aus dem Fenster und wollte den Mond vergessen, der ihr stummer Begleiter in langen Nächten wurde, schweigsam, starr und schwermütig. „Ich bin diesen Mond satt; ich wollte, er wechselte … Komm, Tränenschar! … Mond, lauf nach Haus!“ Sie war traumvoll erschlagen, wach, weich und wund gelegen, Koffein in rauen Mengen, intravenös zu sich genommen. Der Tag zelebrierte sich ohne sie, wie jeden Morgen, an dem sie zu früh erwachte und zu spät die Wunden leckte, die alten, die nässenden. Dann kam er ihr in den Sinn, als seine Buchstaben an diesem Sonnentag auftauchten und einzeln vor ihren müden Augen einen Ringelreihen tanzten, zu dem sie im Takt wippte, mit einem zu lauten Lachen ohne Töne, die blieben bei ihm.

DER TAG erfasste beide in einer einsamen Einheit, als ob zwei Fremde einander gefunden, um sich ihren Schmerz zu erzählen, doch sie taten es nicht, weder er, noch sie, aber zwischen den Zeilen blieb ein wenig Wehmut und süße Schwermut und ein Hauch dessen, was man sich erzählt, wenn man sich mag, aber zu wenig kennt, verblümt, verschämt, versteckt. „Nun, liebes Herz? Warum so blass die Wange? Wie sind die Rosen dort so schnell verwelkt?“, und in Metaphern stelzten sich beide nach drüben, wo ihre Sehnsucht Einkehr hielt und sich versteckte vor zu vielen Wahrheiten und dem Öffnen vor einem Fremden, dessen Seele man längst erkannt hat, im Rausch des Regens, nach dem man sich in einer Sommernacht sehnt. „Vielleicht, weil Regen fehlt, womit gar wohl sie mein umwölktes Auge netzen könnte.“

ER lächelte, als ihre Buchstaben ihn wie ein Trommelwirbel umfassten, ihre Worte dröhnten in seinen Ohren, als er sie lautlos murmelte und sein Herz warm, weich und wund wurde, als ob er heimlich gewartet, gesucht, gebeten hätte um die Botschaft, die ihn erreichte und die er mit einer kleinen Handbewegung in eine schmale Ecke schob, damit niemand lesen konnte, was er fühlte, er wollte verstecken und verbergen, vor allem die Phantasien, die ihn umfingen, und den Blick ihrer Augen, an den er sich erinnerte, ausklammern. „Sie sieht mit dem Gemüt, nicht mit den Augen, und ihr Gemüt kann nie zum Urteil taugen. Drum nennt man ja den Gott der Liebe blind. Auch malt man ihn geflügelt und als Kind, weil er, von Spiel zu Spielen fortgezogen, in seiner Wahl so häufig wird betrogen“, und er wusste, dass es falsch war, aber zu richtig zugleich, und er richtete nicht über sich, sondern riskierte einen Blick nach drüben, wo sie saß und wartete, auf ihr Schicksal, das er in der Hand hatte mit der Entscheidung darüber, die Grenze zu überschreiten, wo dahinter der Schmerz verborgen liegt. „Ich weiß nicht, welche Macht mir Kühnheit gibt, noch wie es meiner Sittsamkeit geziemt, in solcher Gegenwart das Wort zu führen; Doch dürft ich mich zu fragen unterstehn: Was ist das Härt’ste, das mich treffen kann?“

SIE lächelte, als er sich immer tiefer unter ihre Haut tippte und spürte die Silben mit leichten Füßen ihr Herz umschmeicheln, und dann blitzte es, nicht vor dem Fenster, sondern in ihr drin, und die Erkenntnis traf schwerer als jede unausgesprochene Wahrheit, die sie wie ein Strudel erfasste, in dem sie ertrinken wollte. „Und sie, das holde Kind, schwärmt nun für ihn, schwärmt andachtsvoll, ja mit Abgötterei für diesen schuld’gen, flatterhaften Mann“, und obwohl die Vernunft ihr etwas anderes diktierte, ließ sie sich fangen von dem fremden Zauber, der ihr so vertraut war, als wäre er neben ihr aufgewachsen, Hand in Hand, Herz an Herz, fast so, als wären zwei Seelen einer entsprungen, zwei Elfen, die mit schmalgliedrigen Fingern etwas festhalten, das zu närrisch ist, um es greifen zu wollen. „Die Liebe deute, was die Liebe spricht. Ich meinte nur, mein Herz sei Eurem so verbunden, dass nur (ein) Herz in beiden wird gefunden.“

DIE NACHT kam über beide wie eine samtene Decke aus Watte, die sie einlullte, einfing und einverleibte, sie auf der roten Couch, er auf dem schwarzen Stuhl, gefangen, gehetzt und getrieben von der Wärme zwischen den Buchstaben, und als der Mond sich zwischen sie stellte, kam weder Müdigkeit, noch die Nacht, nur ein Sommernachtstraum, gebastelt aus glasklaren Silben, die die Dunkelheit strahlen ließen. Eine Freundschaft mit Flügeln, so zart und weich, dass sie über dem Boden der Tatsachen flatterte, eine Liebe für Narren, verlachenswert, jenseits der Vernunft, gebaut auf einem wackelig-weichen Sommernachtstraum ohne Füße. Bevor der Morgen brach, sanken seine Lider, und der Millimeter seines Blickes, der noch aufnahm, was geschrieben, erleuchtete die letzten Minuten des Wachseins. „(Der) Raum sei zwischen uns. Schlaf süß! Der Himmel gebe, dass, bis dein Leben schließt, die Liebe lebe“, und mit müden Worten ging er zur Nacht, als sie aufnahm, annahm und abdriftete in einen neuen Tag, den sie wachend durchlebte: „Wachst du auf, so scheuch den Schlummer, dir vom Aug der Liebe Kummer!“

DER TRAUM des Sommers, wenn Phantasien sich berühren, begreifen und betören, es hat nur die Magie zu gehen, nicht zu bleiben, der Zauber eines Sommernachttraumes liegt nicht im Festhalten, sondern im Loslassen, im Fortfliegen der Elfen, die schelmisch lächeln und alles davon flattern, was schön sein könnte, aber nur schön ist, wenn es vergeht. Wenn es in seiner Hand liegt, würde es noch viele laue Sommernächte geben, in denen er und sie sich über ihre Seelen nach unten, in ihre wunden Herzen tippen, aber Shakespeare führt keine Regie, nicht bei ihr, nicht bei ihm, und Elfen gibt es schon lange nicht mehr, wenn beide auch von deren zarten Flügeln getragen sind, auch heute noch. Aber nicht zueinander, manche Flügeln müssen behutsam behände brechen, gebrochen werden, von eigener Hand, bleiernd, blutend und blässlich. „O klopf mein Herz und brich! … Ich scheide gern.“

Nellas Niemandsland

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