Sonntag, 9. September 2007

Es ist nicht die Sehnsucht

traumaEs ist nicht die Sehnsucht, die mich weckt, wenn ich in der blauen Minute, wo Schlaf und Wachen sich ablösen, über Traum und Trauma stolpere und versuche, die Nacht festzuhalten, die sachte über meine Haut streift und sich im trüben Tageslicht auflöst, als wäre sie nie da gewesen. Der Wind tanzt zwischen den Zweigen, irgendwie zart und zögernd zugleich, der Himmel graut sich zusammen, während die Regentropfen auf der alten Fensterbank abprallen und liegen bleiben, ganz still. Eva Cassidy singt in meinem Kopf, weiche Töne nisten sich magisch in mein Herz, das noch ganz ruhig ist und sich weigert zu klopfen. „Lying in my bed I hear the clock tickin', think of you”, und ich hülle mich ein in die Erinnerung an Traum und Trauma, decke mich zu mit den Momenten, die in der Nacht neben mir lagen und nun schwerherzig verpuffen. Wo fängt der Tag an, wo hört die Nacht auf, und wer führt Regie über meine Träume?

Es ist nicht die Sehnsucht, die mich treibt, es ist die Sucht nach einem Mehr, das nicht fassbar, nicht machbar und schon gar nicht begreifbar ist. Der Traum von gestern ist nicht zu fassen, er löst sich auf und zerstiebt in Staubpartikeln, die zum Fenster hin tanzen und vom Regen weggespült werden, Träume sind nur zarte Geschichten, die man vergisst, doch manche bleiben, irgendwo unter dem Kopfkissen, sie kommen wieder. Ich igle mich ein in die lila Bettdecke und schließe die Augen vor dem Tag, dem Regen, den Wolken, dem Grau, vor mir. „Turning in circles, confusion is nothing new”, ich bewege die Glieder in Zeitlupe und schüttle die Gedanken ab, die mich fangen, lähmen und einlullen, und die Geschichte des Abends vor dem Traum liegt neben mir und erdrückt.

Es ist nicht die Sehnsucht, die Nähe suchte und zuließ, es ist die Hoffnung auf ein Vielleicht, auf ein Vergessen, auf ein Verdrängen, nicht um anderen wehzutun, sondern um das eigene Wehtun zu verringern. „I never made promises lightly”, ich habe es nicht getan, aber beinahe. Der Kuss, nach dem man im Traum hungert, kann nicht ersetzt werden von einem Kuss, den man bei Tageslicht gibt, er schmeckt nach einer Lüge sich selbst gegenüber und dem Geküssten, der nicht ahnt, dass er eine Judas-Hülle küsst, die voll werden will, aber nicht von ihm. Ich will nicht verletzen, aber ich tue es trotzdem, ich will nicht richten, aber ich tue es, über mich, ich bin der Henker.

Es ist nicht die Sehnsucht, die mir den Schlaf stiehlt und im Verborgenen hält, wo ich sie gebettet auf graue Wolken suche. „I know dark clouds will gather over me”, ich erahne, was kommen wird, ich spüre, dass die Veränderung, die ich herbeiführen muss, noch grauer werden wird, als es jetzt schon ist, hier, wo der Regen noch immer leise gegen die Scheiben tropft und der Wind mich frösteln lässt in einer Nacht, wo Traum und Trauma noch vor der Tür stehen, und ich sie hereinlasse, weil ich zu schwach bin, um alleine zu schlafen, und manchmal, da kommen Traum und Trauma mit der Sonne Hand in Hand in meine Nacht und wärmen mich mit flüsternder Vergangenheit und leiser Zukunftsmusik, im Dreivierteltakt – „I still hear your voice on warm summer nights, whispering like the wind”.

Es ist nicht die Sehnsucht, es ist die Erinnerung an vergangene Tage und die Hoffnung auf kommende, und dazwischen hockt nicht die Sehnsucht, sondern ein kleines Flehen nach einem Mehr, das zulässt, was in Traum und Trauma passiert, aber bei Tageslicht vor der Realität flieht. „Flashback to moon nights, almost left behind“, und die Vergangenheit ist so nah, als säße sie neben mir und hielte meine Hand, aber ich stolpere wie immer über den Konjuktiv und hole mir blaue Flecken an dem Koffer, den ich immer mit mir herumschleppe – „A suitcase of memories, time after sometime”.

Es ist nicht die Sehnsucht, sage ich, es ist die Sehnsucht, sagt Arthur Schnitzler. „Die Sehnsucht ist es, die unsere Seele nährt, und nicht die Erfüllung“.

Nellas Niemandsland

Neurosen, Nettigkeiten & notwendiger Nonsens

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