Selber, du Drecksstück!
„Was machen wir zu unserem Jahrestag?“, fragt mich J. mit rauchiger Stimme, und ich muss lachen, weil Jahrestage eigentlich pubertierenden Teenie-Pärchen oder Sweet Sixteen-Freundinnen vorbehalten sind, die sich auf Diddl-Postkarten versichern, wie mega doll sie sich lieb haben und noch nicht ahnen, dass ihre Freundschaft wahrscheinlich zerbrechen wird, am Älter werden, am Wachsen und Reifen, am über sich Hinaus wachsen, an den Jahren, die alles verändern. Eigentlich. Aber es gibt Augenblicke, da muss man sich der Süße der vergangenen Zeiten stellen, der Leichtigkeit, der Unbeschwertheit, dem nicht greifbaren Wahnsinn. Also lasse ich es zu und diesen Irrsinn in mein Herz.
„Wie wäre es mit kollektivem Selbstmord?“, frage ich und meine es ein kleines bisschen ernst, weder wahn-, noch irrsinnig, aber J. verlacht glucksend meinen Vorschlag und sagt: „In drei Jahren, Schatz, denn wir sterben nicht in drei Tagen, sondern in drei Jahren“, und ich, ich muss wieder lachen und schweige rauchend, obwohl ich die Frage meiner Ärztin im Kopf habe, ob ich selbstmordgefährdet bin und mein Zaudern und Zögern daraufhin spüre. Hirngespinste. Bin ich?
„Wir lassen uns tätowieren“, sagt J. begeistert und verwischt meine Hirnfürze, genauso wie sie damals sagte: „Wir beide lassen uns ein Intim-Piercing stechen“, unlängst im November, als wir uns das erste Mal sehen wollten, aber die Dämonen meiner Seele mich nicht zu ihr ließen und sie nun alleine da steht, mit dem rot-schimmernden Strassstein in der Mitte ihres Körpers, der im Kerzenschein weder lasziv, noch billig scheint, nur purpur und leuchtend wie das Lachen von J.
„Ein Symbol für die Ewigkeit“, meint J., „genau das ist es. Im Nacken, tätowiert für die Ewigkeit“, und ich nicke, aber das kann sie am Telefon nicht sehen, also sage ich ein bisschen abgedroschen: „Ja, wir beide für die Ewigkeit“ und bin ein bisschen traurig. Nicht, weil es wie eine Floskel klingt, sondern weil es wahr ist.
„Du weißt, ich würde mich um deine Tochter kümmern“, sage ich bierselig und denke an unser Telefonat vor ein paar Tagen, als ich sie fragte: „Was machst du mit K., wenn du stirbst?“ Und sie sagte trocken und tränenlos: „Keine Ahnung, aber weißt du was? Ich würde nur L. zutrauen, sie großzuziehen, aber die ist erst 16“, und ich denke an Sweet Sixteen-Freundinnen und deren Leichtigkeit, die die Realität so schwer macht.
„Heut Abend betrink ich mich“, sagt J. feixend, „aber vorher besorg ich mir Schmerztabletten, sonst geht das nicht.“ Ich schlucke und würde gern sagen: Tu das nicht. Leg dich hin. Pass auf dich auf. Aber ich weiß: Sie will das nicht hören. Sie braucht mich für etwas anderes.
„Lass es krachen“, höre ich mich sagen, „hab Spaß, sei gut zu dir – und ruf mich an, hörst du? Wenn du trinkst, dann nur mit mir“, murmle ich und meine es ernst. Ich muss aufpassen, denke ich, dass sie keinen Blödsinn macht. That’s my job, you know?
Ich habe vergessen, wann ich das letzte Mal geweint habe, bis auf die zarten Tränen vorgestern, als ich das tote Rehkitz im Fernsehen sah. Wann? Warum habe ich meine Tränen vergessen? Und warum habe ich noch nie wegen J. geweint?
„Vorsicht, K., du tust mir weh“, sagte J. gestern, als wir telefonierten und ihre Tochter mit ihr kuscheln wollte. „Mama hat Schmerzen“, hörte ich sie hohlhörig, als sie ihr kleines Mädchen bat, sich nicht auf sie zu legen. „Fiese Gliederschmerzen“, meinte sie danach zu mir, als K. im Bett lag und J. sich mit Rotwein und einem Joint entspannte, um die Schmerzen wegzubeamen.
Vielleicht braucht J. meine Tränen nicht. Vielleicht, weil sie keine Tränen nötig hat, die stolze, schwarze Katze mit den geschmeidigen Augen, die allem trotzt, vor allem dem Tod.
„Du bist geistesgestört“, sage ich trocken.
„Selber, du Drecksstück“, lacht sie, und ich spüre Wärme in meinem Herzen, gleißend und innig.
„Wie wäre es mit kollektivem Selbstmord?“, frage ich und meine es ein kleines bisschen ernst, weder wahn-, noch irrsinnig, aber J. verlacht glucksend meinen Vorschlag und sagt: „In drei Jahren, Schatz, denn wir sterben nicht in drei Tagen, sondern in drei Jahren“, und ich, ich muss wieder lachen und schweige rauchend, obwohl ich die Frage meiner Ärztin im Kopf habe, ob ich selbstmordgefährdet bin und mein Zaudern und Zögern daraufhin spüre. Hirngespinste. Bin ich?
„Wir lassen uns tätowieren“, sagt J. begeistert und verwischt meine Hirnfürze, genauso wie sie damals sagte: „Wir beide lassen uns ein Intim-Piercing stechen“, unlängst im November, als wir uns das erste Mal sehen wollten, aber die Dämonen meiner Seele mich nicht zu ihr ließen und sie nun alleine da steht, mit dem rot-schimmernden Strassstein in der Mitte ihres Körpers, der im Kerzenschein weder lasziv, noch billig scheint, nur purpur und leuchtend wie das Lachen von J.
„Ein Symbol für die Ewigkeit“, meint J., „genau das ist es. Im Nacken, tätowiert für die Ewigkeit“, und ich nicke, aber das kann sie am Telefon nicht sehen, also sage ich ein bisschen abgedroschen: „Ja, wir beide für die Ewigkeit“ und bin ein bisschen traurig. Nicht, weil es wie eine Floskel klingt, sondern weil es wahr ist.
„Du weißt, ich würde mich um deine Tochter kümmern“, sage ich bierselig und denke an unser Telefonat vor ein paar Tagen, als ich sie fragte: „Was machst du mit K., wenn du stirbst?“ Und sie sagte trocken und tränenlos: „Keine Ahnung, aber weißt du was? Ich würde nur L. zutrauen, sie großzuziehen, aber die ist erst 16“, und ich denke an Sweet Sixteen-Freundinnen und deren Leichtigkeit, die die Realität so schwer macht.
„Heut Abend betrink ich mich“, sagt J. feixend, „aber vorher besorg ich mir Schmerztabletten, sonst geht das nicht.“ Ich schlucke und würde gern sagen: Tu das nicht. Leg dich hin. Pass auf dich auf. Aber ich weiß: Sie will das nicht hören. Sie braucht mich für etwas anderes.
„Lass es krachen“, höre ich mich sagen, „hab Spaß, sei gut zu dir – und ruf mich an, hörst du? Wenn du trinkst, dann nur mit mir“, murmle ich und meine es ernst. Ich muss aufpassen, denke ich, dass sie keinen Blödsinn macht. That’s my job, you know?
Ich habe vergessen, wann ich das letzte Mal geweint habe, bis auf die zarten Tränen vorgestern, als ich das tote Rehkitz im Fernsehen sah. Wann? Warum habe ich meine Tränen vergessen? Und warum habe ich noch nie wegen J. geweint?
„Vorsicht, K., du tust mir weh“, sagte J. gestern, als wir telefonierten und ihre Tochter mit ihr kuscheln wollte. „Mama hat Schmerzen“, hörte ich sie hohlhörig, als sie ihr kleines Mädchen bat, sich nicht auf sie zu legen. „Fiese Gliederschmerzen“, meinte sie danach zu mir, als K. im Bett lag und J. sich mit Rotwein und einem Joint entspannte, um die Schmerzen wegzubeamen.
Vielleicht braucht J. meine Tränen nicht. Vielleicht, weil sie keine Tränen nötig hat, die stolze, schwarze Katze mit den geschmeidigen Augen, die allem trotzt, vor allem dem Tod.
„Du bist geistesgestört“, sage ich trocken.
„Selber, du Drecksstück“, lacht sie, und ich spüre Wärme in meinem Herzen, gleißend und innig.
Nella Niemandsland - 16. Mai, 18:51
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