Freitag, 8. Juni 2007

Prost.

J. hat Schmerzen. Sie verlacht sie zwar glockenhell mit ihrer dunklen Stimme, aber sie sind da. Schleichend wie der Tod, nahe wie das Gestern, greifbar wie unser Bier, das uns leicht macht wie Daunen-Federn und uns zaudern lässt.

„Hast du vier Tabletten genommen?“, frage ich, und sie lächelt kühl und nickt. „Was wäre, wenn du keine nimmst?“, frage ich weiter, und sie schüttelt mich ab wie eine lästige Mücke, die kurzerhand erschlagen wird und sich krümmt im Todeskampf. Sie mag nicht, wenn ich frage, aber ich tue es trotzdem - oder gerade deshalb, weil Fragen immer offen sind, vor allem bei J.

„Dann hätte ich überall Schmerzen“, sagt sie lächelnd und reckt ihre müden Glieder, und ich hätte sie selbst gerne, die Schmerzen, die J. so hemmen. Lass es mir wehtun, du da oben, lass mich einen Teil der Schmerzen mittragen, flüstere ich, aber keiner hört mich, und J. lacht ihr Katzenlachen, ein bisschen zu laut und ein bisschen zu krampfhaft.

J. sagt, dass ich schreiben soll, über sie oder andere Psychosen, aber meine Worte sind zu leer und zu voll mit Traurigkeit. „Ich schreibe doch immer nur depressiv“, sage ich, „da muss doch mal ein Witz rein. Sag was Lustiges!“ kontere ich und warte auf ein oberflächliches Katzenlachen, das nicht kommt.

„Ich mag es, wenn du traurig schreibst“, sagt J., obwohl sie gar nicht traurig ist, und ich, die Frau mit den hafennuttenblonden Haaren, ich lächle, ein bisschen verhalten und ein bisschen wehmütig.

Die Weingläser von J. sehen aus wie eine Tulpe, und ich sage „Die sind nicht von Ikea, oder?“, und ihr Hund mit der Schwarz-Weiß-Zeichnung liegt neben uns und furzt.

Irgendwann, ich weiß nicht, warum ich daran denke, klopfte eine Frauenzeitschrift an die Tür von J., und sie machte auf. Nach langen Fragen und kurzen Antworten entstand eine Geschichte, die keine war. Zu viele Unwahrheiten standen zwischen den Zeilen, aber niemand konnte sie lesen. J, hat bis heute den Artikel nicht angeschaut, aber das muss sie nicht. Wozu auch? Ihr Vermächtnis ist ein anderes.

„In drei Tagen sind wir tot“, sagen wir seit neun Monaten zueinander, und wir erinnern uns nicht mehr, warum wird das sagen.

„Das Bier geht aus“, sage ich promille-traurig, aber J. tippt gedankenschwer vor sich hin, beinahe lautlos. „Ich gehe zur Tankstelle“, sage ich nebenbei mit rauer Stimme, aber J. hört mich nicht, zu sehr verhallen ihre Finger auf den Tasten, die darüber schreiben, was morgen sein wird.

„Bitte ein Bier“, ruft mir J. hinterher, und ich werde es holen, da draußen an der Tankstelle im Westen, solange J. noch trinken kann.

Prost.

SerialMum1-1-0

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DrYes - 8. Jun, 01:05

Ich hebe ...

... ein Glas Watermelon Man auf euch. Prost zurück!

Mukono - 8. Jun, 17:22

der Text macht mich

total traurig. wer ist denn diese mördermäßig gut aussehende Frau auf dem Foto? Doch nicht etwa die gleiche, welche den Text schrieb, Ich proste mal mit einem kleinen Whisky durch das Net...

;-) Mukono

Nella Niemandsland - 8. Jun, 17:28

Danke für das Kompliment

Die messerscharfe Frau ist J. - und sie prostet zurück. Mit einem Glas Cola Zero :-)
DrYes - 8. Jun, 18:13

@Mukono: >> Doch nicht etwa die gleiche, welche den Text schrieb <<
Das klingt ja fast so, als ob du überrascht wärst, wenn diejenige, welche den Text schrieb, nicht nur eine Edelfeder, sondern eine hammermäßige Schönheit wäre... ;-) (Übrigens: Sie ist's!)
Mukono - 8. Jun, 18:54

lacht

ja doch, ja doch, ich dache immer, wer so gut schreibt, muss nicht auch noch gut aussehen, diese Mischung ist ja explosiv,
ich lehne mich mal behaglich zurück, falte die Hände übers Bäuchlein und freue mich im gesegneten Alter zu sein, wo man Jenseits von Gut und Böse ist, DrYes...

;-) Mukono

DrYes - 8. Jun, 23:27

Wenn ich mal keck nachhaken darf ... ;-)

@Mukono: Ist das "Jenseits von Gut und Böse", wie du es definierst, primär eine Frage des Alters? Oder hat es mit Abgeklärtheit zu tun? Oder mit noch was anderem?

Ich meine die Frage ernst und versuche nicht, spitzfindig zu sein. Ich finde den Begriff "Jenseits von Gut und Böse" nämlich "moralphilosophisch" sehr interessant. Er wird ja meistens verwendet, um jemanden als moralisch völlig unangreifbar darzustellen. Ein Profil, das unter den mir bekannten Menschen (lebend und literarisch) nur Leute wie Jesus erfüllen könnten (um jemanden aus der literarischen Ecke zu nennen) ... aber die wären dann ja *nur* "gut", und nicht jenseits davon.
Mukono - 9. Jun, 00:51

smile

Frag nur, frag nur, DrYes. „Jenseits von Gut und Böse“ hat primär mit dem Alter zu tun, in dem man abgeklärt wird und aber auch noch mit was anderem.
Es entscheidet ja jede/r selbst , wie die Betreffende oder der Betreffende alt werden möchte, ohne den Zeitpunkt zu verpassen, sich in einer falschen Jugendlichkeit lächerlich zu machen. „Jenseits von Gut und Böse“ ist aber immer ironisch (kokettierend und mit heftigem Augenzwinkern begleitet) zu verstehen
Jesus war ja nicht, wie du behauptest „jenseits von gut und böse“, sondern wie du danach selbst ganz richtig bemerktest, „nur gut“
Gut ist Gott und böse ist der Teufel. Dazwischen bewegt sich philosophisch gesehen das Seelenleben des Menschen. Darüber kann man ganz interessant bei Dostojewski lesen. Und interessanterweise lesen auch hauptsächlich junge Menschen Dostojewski.
Ironisch hat mein „Jenseits von Gut und Böse“ mit dem Kompliment an einer jungen schönen Frau zu tun. Meist balzen ja die (jungen) Männer und zeigen sich göttlich, um sich später teuflisch zu erwiesen. Wenn alte Männer balzen, sind sie lächerlich Grins, aber ihre Komplimente sind ehrlicher.
Kurz gesagt, ich bin raus aus diesem Geschäft, freu mich über die laue Nacht und mein Pfeifchen, das endlich richtig qualmt, wegen meines abgeklärten Alters, aber auch noch wegen was anderem...
Moralinsauer habe ich den Begriff noch nie verwendet gehört.

Gute Nacht

Mukono
DrYes - 11. Jun, 04:54

Gut vs. Böse, und dies vs. das

Moin Mukono,

danke für deine ausführliche Antwort!

>> „Jenseits von Gut und Böse“ hat primär mit dem Alter zu tun, in dem man abgeklärt wird und aber auch noch mit was anderem.
Es entscheidet ja jede/r selbst , wie die Betreffende oder der Betreffende alt werden möchte, ohne den Zeitpunkt zu verpassen, sich in einer falschen Jugendlichkeit lächerlich zu machen. <<

Ich persönlich finde, dass Alter hierbei so gut wie keine Rolle spielt. Um zwei Abschnitte meines Lebens herauszugreifen:

Als 25-jähriger bin ich von weitaus älteren Menschen (vor allem von Musikern und anderen Kreativen) inspiriert worden, die sich – wenn ich zurückblicke – „jugendlicher“ (offener/flexibler) verhielten als ich damals.

Genauso kenne ich als über 40-jähriger 20- und 30-jährige KollegInnen, die weitaus „spießiger“ sind als KollegInnen, die „noch“ älter sind als ich.

Und was heißt „falsche Jugendlichkeit“? „Authentische Jugendlichkeit“ ist meiner Meinung nach keine Frage des Alters, da gibt es keinen Zeitpunkt zu verpassen.

Wer offen, flexibel, sensibel und wach ist, wird mit Jugendlichen jeden Alters eine Kommunikationsebene finden.

Wenn sich hingegen ein „Spießer“ bei irgendeinem Jugendlichen irgendeinen Alters pseudo-hip anzubiedern versucht („Ich habe auch schon mal Hasch gespritzt!“ ;-) ), dann wird das nicht funktionieren. Nicht wegen des Alters, sondern weil es nicht passt.

>> Gut ist Gott und böse ist der Teufel. Dazwischen bewegt sich philosophisch gesehen das Seelenleben des Menschen.<<

Als Agnostiker sehe ich das natürlich nicht so. ;-) Meine Maximen sind die (nicht-religiöse Auslegung) der Goldenen Regel und ihr Umkehrschluss. Göttin spielt da keine Rolle, und der Teufel erst recht nicht.

>> freu mich über die laue Nacht und mein Pfeifchen, das endlich richtig qualmt <<

Als jemand, der erst kürzlich die Freuden des Pfeifenrauchens entdeckt hat, kann ich das nachvollziehen … ;-)
j.bin_ich - 18. Jun, 09:25

j.bin_ich

J. prostet zurück, am frühen Morgen mit Kaffee ;)

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