Samstag, 20. Oktober 2007

Jemand hat das Licht ausgeknipst (IV)

unbenanntJemand hat das Licht in mir ausgeknipst, nur der Schein der Straßenlaterne erhellt den großen Raum mit dem rauen Boden, auf dem ich kauere und tippe, immer mit dem Schulterblick nach rechts oben, aus dem Fenster, nach ganz oben in die Nacht, wo es genauso dunkel ist wie bei mir. Zwischen uns brennt nur die gleißende Straßenlaterne. Der Tisch zu hoch und voller Aschespuren, der schwarze Stuhl zu klein, mit verknoteten Beinen und Gliederschmerzen darauf, der Prosecco kalt im großen Glas, das in meiner Hand zittert, ich bin müde. Ich sollte weder hier sitzen, noch trinken, noch rauchen, die Kehle ist zu rau, der Husten zu blechern, aber zu lange lag ich wach in der Dunkelheit auf Suche nach Schlaf, nach Gedankenlosigkeit, nach Heilung, aber die gibt es nicht, die Nacht ist erbarmungslos ehrlich, das Fieber zu ruhelos, rastlos. Ich mag die Nacht, aber die Nacht mag mich nicht, sonst würde sie mich in Ruhe ruhen lassen, anstatt aufzuwühlen und aufzureiben. Jemand hat das Licht in mir ausgeknipst, vielleicht war ich es selbst.

Jemand hat sein Licht ausgeknipst. Gegenüber bleibt es dunkel, so dunkel, dass ich nicht mal die Umrisse der hohen Fenster erkenne, ich frage mich, wo er ist. Wer er ist, warum er ist, wie er ist. Ich fühle mich, als würde ich jeden Tag ein Puzzlestück mehr anfügen, mit jedem Blick, der nach oben gleitet, obwohl es immer dasselbe ist, das ich sehe. Eine dunkle Silhouette, eine starre Haltung und ein Sog Traurigkeit, der wie ein telepathisches Mantra zwischen unseren Fenstern über die Straßenlaterne hinweg fließt. „I have the room above her“ klingen zarte Jazzmelodien leise zu mir, und während mir wieder mal die Nase läuft und ich meinen kümmerlichen Anblick im Spiegel auf dem alten Schreibtisch sehe, weiß ich, dass ich morgen wieder den Tag verschenken werde – an die Kraftlosigkeit, die mich kraftvoll treibt und bannt und hemmt. Ich werde wieder die schwarze Jogginghose nicht ausziehen, ich werde die Haare nicht waschen, und die Reste des roten Nagellacks auf den zerkauten Nägeln, den werde ich auch nicht abmachen, und wenn es klingelt, dann bin ich nicht zu Hause.

Gin. Ich könnte Gin trinken, denke ich beim nächsten Schulterblick nach rechts oben, wie an jenem Tag, nach jenem Anruf, der Eis durch meine Adern laufen ließ, das mich verbrannte, und um die Bitterkeit wegzuspülen unter der Haut, um zu vergessen und zu verdrängen, da half nur die bittere Süße von wildem Wacholder, der das Blut zäh macht, also lief ich los in die Nacht, die drückend über der Stadt lag, als würde sie ahnen, dass ich am Stock gehe.

Zwischen den Regalen hallt ein Echo ohne Stimmen, es ist kalt, wer geht schon um diese Uhrzeit in einen Supermarkt und lädt Flaschen in den Wagen anstatt Menschen zu sich ein? Meine Hose rutscht, als ich ziellos weitergehe, die Flaschen klappern einsam im Exil, und dann steht er da und schaut mich an. Ruhig und einen Moment zu lange, als ob er sehen könnte, warum ich hier stehe, als ob er lesen könne auf meiner Haut, der müden. Worte liegen auf seinen Lippen, ein kleines Zögern, ein Blick in meinen Einkaufswagen, ein kaum erkennbares Lächeln, doch der Moment vergeht, so vertraut er auch schien. Das Lächeln erfreut und erschreckt mich zugleich, und wieder ziehe ich meine Hose hoch, werfe einen letzten Blick zurück, auf ihn, und gehe. Er hat zwar den Blick eines einsamen Panthers, aber ich bin es, hinter müden Stäben, gebastelt aus vier Buchstaben.

Wenige Minuten später, zu Hause, in meinem wärmenden Kokon aus Einsamkeit, stehe ich mit dem ersten Gin Tonic am Fenster, spüre den Wacholder in mir pulsieren, doch gegenüber ist es noch immer dunkel, nur die Straßenlaterne brennt.


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Nellas Niemandsland

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