Klassenfahrt auf Speed
Der erste Abend bei J. fühlt sich an wie eine Klassenfahrt auf Speed in den Osten, obwohl man sich im Westen trifft. Alles in Zeitlupe und trotzdem auf Überholspur, alles in Spektralfarben und doch ohne Licht. Es sind fremde Gesichter, die sich mustern, fremde Geschichten, die sich gleichen, fremde Gemeinsamkeiten, die sich vereinen. Niemand spielt Flaschen drehen, aber die Luft ist kindisch und die zwei Quadratmeter Balkon sind ein Wirrwarr aus verknoteten Beinen, die sich unter einer haarigen Decke berühren und zurückziehen. Die raue Mauer drückt in den Rücken, jemand fragt nach einem Kissen, aber aufstehen ist zu mühsam, man verharrt beinahe bewegungslos in der rauchigen Nacht. In der Mitte eine kleine Kerze, die dicke Zigarette geht reihum, und die Reste aus dem Kühlschrank werden geteilt, ein bisschen Wodka, ein bisschen Weinbrand, das Bier ist längst alle. Die Pupillen sind müde, die Lider flattern, das Lächeln wird breiter, denn man redet über Sex, alle durcheinander, alle schlüpfrig, und im Nebenzimmer schläft die 6-Jährige, die morgen eingeschult wird, neben dem Säugling mit den offenen Augen. Ein Hauch Kindlichkeit liegt in der Luft, man fühlt sich jung und leicht, obwohl jeder eine andere Traurigkeit versteckt, der eine ist unglücklich verliebt, die andere komplexbehaftet, die nächste magersüchtig, die dritte vielleicht schwanger. Die Wangen färben sich rosa, obwohl es dunkel ist, und Asche ist überall, auf der Decke, unter der Decke, an den Klamotten, in den Augen. Kichern perlt über die promilleleichten Stimmbänder, als man ängstlich gackernd brüllt „Daddy kommt!“, und beinahe hat man vergessen, dass man erwachsen ist, dass Daddy ruhig kommen kann, aber es fühlt sich nach Altweibersommer und Ferienlager an, nach Erwischt werden und Strafe bekommen, auch wenn Daddy grinst und sich einen Wodka einschenkt. Daddy heißt Daddy, obwohl er nicht der Daddy von der 6-Jährigen ist, sondern ihr Großvater, aber das spielt keine Rolle, seine Tochter war selbst ein Kind, als das Kind geboren wurde. Morgen also der Tag der Einschulung, J. ist still unter der Decke und sucht eine Schulter zum Anlehnen, sie nimmt meine. Mitten in der Leichtigkeit der Nacht geht nun die Traurigkeit neben dem Mond auf, und die Sturheit des alten Mannes macht mich wütend. Irgendwo unter der griesgrämigen Miene verdörrt sein Herz, trunken gemacht von zu vielen Stunden beim Stammtisch, er bockt, blökt, beißt. Irgendwann, da kaufte er ein Kleid für die 6-Jährige, herrlich altmodisch, schrecklich verziert, aber er bezahlte mit Liebe, nicht mit Geld. „Das Kleid ist frisch gebügelt“, murmelt er, und J. antwortet: „Ich brauch morgen nicht das Kleid, ich brauche dich“, doch Daddy schweigt und streikt. „Wenn M. kommt, dann komme ich nicht“, sagt er störrisch und wischt seine Tochter von seinem Herzen. Zu viele Befindlichkeiten, zu viele Ichbezogenheiten, zu viele Vergangenheiten hindern den alten Mann daran, seine Enkelin an ihrem ersten Schultag zu begleiten. Der Neue seiner Exfrau kommt ja auch, deshalb geht er nicht hin, er erklärt es aber niemanden, auch nicht der 6-Jährigen, die heute strahlend ihre Schultüte in der Hand hielt und nach ihrem Großvater fragte, der vermutlich traurig war, irgendwoanders, mit einem Glas in der Hand und Eiswürfeln unter der Haut. Der erste Abend bei J. fühlt sich an wie eine Klassenfahrt auf Speed in den Osten, obwohl man sich im Westen trifft, wo auch eine Mauer steht, die weg muss.
Nella Niemandsland - 8. Aug, 15:19
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Catissima - 9. Aug, 09:18
*hach* Wie wahr! Wie wahr!
Doch ... es sind Ferien, denn alle schlafen in einem Schlafzimmer. In den Morgenstunden suchte ich den Wecker, doch vor lauter müden & schlafenden Mittlife-Teenies keine Spur vom Wecker. Doch auch wenn der Wecker nicht sichtbar ist, muss J. aufstehen. Das kleine Schulkind auf dem Weg zur Arbeit in die Schule bringen.
Wir sind zu spät doch Nicolina sagt: "Mama, Null Problemo! Coole Kinder kommen immer zu letzt und zu spät - also was soll's!"
Wir sind zu spät doch Nicolina sagt: "Mama, Null Problemo! Coole Kinder kommen immer zu letzt und zu spät - also was soll's!"
Luderchen - 9. Aug, 11:11
Der Morgen
Hmm, eigentlich gibt es nicht viel zu Schreiben.
Dieser Tag fängt gerade erst an und trotzdem fühle ich mich, als ob ich seit mehr als drei Tage ununterbrochen wach bin...
Der Wecker klingelt, nur ein müder Korper bewegt sich aus dem gemeinsamen Schlafzimmer, der von J.
Es ist sieben Uhr, vor vier Stunden bin ich schlafen gegangen..
Meine Augeb bleiben zu..
Ich kann nicht mehr schlafen, immer und immer wieder stößt ein Windhauch meinen Rücken. Das Fenster was offen ist?
L. lautest schweres Atmen?
Egal, es lässt mich nicht schlafen.
Endgültig wach werde ich als L. versucht mir sanft ein wenig Decke zu klauen, ihre Hand streift meine, Augen gehen sofort auf.
Sie hat mir ihren Rücken zugedreht...
Wie ein kleines Kind übelege ich nun was ich machen kann, leider ist K. seit gestern in der Schule, also keine Kinderfilme anschauen wo man so schön mitsingen kann..
hmm, auch Gesichter beobachten ist nicht mehr möglich. Heute Morgen als ich mich ins Bett gelegt habe, lag L. mir noch zugewandt, also hab ich ihr Gesicht ausgiebig betrachtet, was ich bei J.immer dann mache wenn ich ihre Augenbrauen zupfe, es ist hübsch doch diese schwere Atmen was ich ab und an synchron mit dem von J. zu einem leichten Schnarchen entwickelt störrt.
Leicht benebeld steige ich aus dem Bett. Als erste Handlung des Morgens trete ich auf die Füße von J. Ein ganz leises "Scheiße" kriecht über meine Lippen. J. schaut mich an und lässt sich sofort wieder isn Bett fallen.
Ich gehe zur Toilette, nicht bei J. sondern bei Daddy, wäre mir zu peinlich wenn L. und J. wach werden...
Mein erster Blick die Küche. Ein zweites mal sucht das böse Wort seinen Ausdruck. Ich nehme mir einen Teller , kalte Nudeln und Soße.Ja, sterben würde ich gerne, jedoch nicht so unspektakakulär deswegen erwärme ich das Essen nicht. Pilze soll man schließlich nicht aufwärmen wurde mir gestern von J. erklärt
L. meint auch das es zu unspektakulär wäre wenn man wegen Pilzen stirbt,also esse ich es kalt..
Ich setze mich in das Büro, schlinge mein Essen runter.
Die Tür ist offen, draussen regnet es ...es sieht aus als wäre es wieder Abend geworden....
Das Telefon klingelt.
J. ist dran.
Wie sie es sagt versuche ich L. mit einen großen Tritt in den Arsch zu Wecken...
So, das ist aber der zweite Teil eines verrückten , normalen Morgens im Hause S.
Es ist jetzt 11.10 Uhr.
Ich will ins Bett. Schlafen.
Dieser Tag fängt gerade erst an und trotzdem fühle ich mich, als ob ich seit mehr als drei Tage ununterbrochen wach bin...
Der Wecker klingelt, nur ein müder Korper bewegt sich aus dem gemeinsamen Schlafzimmer, der von J.
Es ist sieben Uhr, vor vier Stunden bin ich schlafen gegangen..
Meine Augeb bleiben zu..
Ich kann nicht mehr schlafen, immer und immer wieder stößt ein Windhauch meinen Rücken. Das Fenster was offen ist?
L. lautest schweres Atmen?
Egal, es lässt mich nicht schlafen.
Endgültig wach werde ich als L. versucht mir sanft ein wenig Decke zu klauen, ihre Hand streift meine, Augen gehen sofort auf.
Sie hat mir ihren Rücken zugedreht...
Wie ein kleines Kind übelege ich nun was ich machen kann, leider ist K. seit gestern in der Schule, also keine Kinderfilme anschauen wo man so schön mitsingen kann..
hmm, auch Gesichter beobachten ist nicht mehr möglich. Heute Morgen als ich mich ins Bett gelegt habe, lag L. mir noch zugewandt, also hab ich ihr Gesicht ausgiebig betrachtet, was ich bei J.immer dann mache wenn ich ihre Augenbrauen zupfe, es ist hübsch doch diese schwere Atmen was ich ab und an synchron mit dem von J. zu einem leichten Schnarchen entwickelt störrt.
Leicht benebeld steige ich aus dem Bett. Als erste Handlung des Morgens trete ich auf die Füße von J. Ein ganz leises "Scheiße" kriecht über meine Lippen. J. schaut mich an und lässt sich sofort wieder isn Bett fallen.
Ich gehe zur Toilette, nicht bei J. sondern bei Daddy, wäre mir zu peinlich wenn L. und J. wach werden...
Mein erster Blick die Küche. Ein zweites mal sucht das böse Wort seinen Ausdruck. Ich nehme mir einen Teller , kalte Nudeln und Soße.Ja, sterben würde ich gerne, jedoch nicht so unspektakakulär deswegen erwärme ich das Essen nicht. Pilze soll man schließlich nicht aufwärmen wurde mir gestern von J. erklärt
L. meint auch das es zu unspektakulär wäre wenn man wegen Pilzen stirbt,also esse ich es kalt..
Ich setze mich in das Büro, schlinge mein Essen runter.
Die Tür ist offen, draussen regnet es ...es sieht aus als wäre es wieder Abend geworden....
Das Telefon klingelt.
J. ist dran.
Wie sie es sagt versuche ich L. mit einen großen Tritt in den Arsch zu Wecken...
So, das ist aber der zweite Teil eines verrückten , normalen Morgens im Hause S.
Es ist jetzt 11.10 Uhr.
Ich will ins Bett. Schlafen.
schlauschiesser - 9. Aug, 12:03
Viel zu selten, diese Momente wo man als Erwachsener wieder zum Kind werden kann.
Umso schöner, wenn man einen erleben darf.
Umso schöner, wenn man einen erleben darf.
Nella Niemandsland - 9. Aug, 12:15
@schlauschießer
Wie wahr. Blöd ist nur, wenn man in einem solchen Moment vergisst, das Kind aus der Schule abzuholen :-)
@Catissima: Keine Sorge, dem Kind geht es gut. Sie hat mir gerade deinen Flachmann geschenkt :-)
Luderchen - 9. Aug, 14:03
..Zumindest hat es Catissima nicht vergessen!!!
Während der Fahrt hab ich mir überlegt was ich sagen soll wenn man mich darauf anspricht WARUM das Kind vergessen wurde...
Die Tatsache das ich aussah wie eine asoziale die grad aus dem Bett gekrochen kommt und wahrscheinlich eine Bierfahne hat die Meilenweit zu riechen( laut L.) ist machten es mir nicht leichter...
Hauptsache ist das es dem Kind gut geht..
und ich immer noch aussehe wie so ein asoziales Flittchen was den ganzen Tag nichts anderes Tut als zu Rauchen und zu Trinken..
Habe ich schon erwähnt das es nun bereits 14.02 Uhr ist, ich immer noch Müde bin und noch nicht geduscht habe!!!!
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Während der Fahrt hab ich mir überlegt was ich sagen soll wenn man mich darauf anspricht WARUM das Kind vergessen wurde...
Die Tatsache das ich aussah wie eine asoziale die grad aus dem Bett gekrochen kommt und wahrscheinlich eine Bierfahne hat die Meilenweit zu riechen( laut L.) ist machten es mir nicht leichter...
Hauptsache ist das es dem Kind gut geht..
und ich immer noch aussehe wie so ein asoziales Flittchen was den ganzen Tag nichts anderes Tut als zu Rauchen und zu Trinken..
Habe ich schon erwähnt das es nun bereits 14.02 Uhr ist, ich immer noch Müde bin und noch nicht geduscht habe!!!!
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Nella Niemandsland - 10. Aug, 16:08
JA!
Kind hat gerade eine Spinne gegessen und zu mir gesagt: Boah, wie siehst DU denn aus. Ich glaub, ich muss es verprügeln :-)
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