Montag, 30. Juli 2007

A4-Monolog, innen (Part II)

A4-innenAuf dem Nagellack steht, er trocknet in 60 Sekunden, aber das ist eine Marketing-Lüge, eine von vielen, wie der Schuster meines Unvertrauens, der sich Mr. Minit nennt, aber auf die Frage, wo ich warten kann, im Irrglauben, er brauche nur Minuten, nur sagte, ich solle in einer Woche wiederkommen, und ich lachte und schlug eine Umbenennung in Mr. Week um, was er nicht so zum Lachen fand. Meine Nägel leuchten Paris Hilton-like in knalligem Lack, ein bisschen Blut, ein bisschen Kirsche, ein bisschen Sex, und während die Farbe trocknet, tippe ich hirnleer und herzvoll nach dem Konzept von unlängst, das kein Konzept hat, der
A4-Monolog im Inneren,wo nichts einen Sinn hat, aber Wörter sich aneinander schmiegen auf der Suche nach einer Geschichte, die keine ist. Der Wunsch zu schreiben ist immer da, aber die Inhalte fehlen, es gibt nichts zu sagen, also reihe ich Buchstaben grundlos aneinander, einfach so, vielleicht entsteht ja doch eine Geschichte. Der Lack bleibt feucht, obwohl 60 Sekunden längst überschritten sind, meine Finger spreizen sich weit auseinander, während die beiden Zeigefinger tippentippentippen und nicht wissen, wohin. Ich will rauchen, jetzt, aber es geht nicht, ich schreibe ja noch, und ich will nicht schummeln, fair play für meine Leser, die handvoll wenigen. Der Fernseher neben mir redet über Kultur, Worte und Töne ziehen an mir vorbei, aber ein Satz bleibt hängen, den ich mittippe, als er gesagt wird, fast, als wäre er bedeutsam. Die schmallippige Frau mit den schlecht sitzenden Haaren steht irgendwo in Salzburg, es geht um die Festspiele, und sie sagt: „Wenn du willst, dass alles bleibt, wie es ist, dann musst du alles ändern“, und ich denke darüber nach, jetzt, hier, zwischen den Buchstaben und dem Luft holen, während die gelackten Finger noch immer in der Luft zappeln. Und wenn ich alles ändern will, dann muss ich es lassen, wie es ist? Ich würde die TV-Frau gern danach fragen, aber sie ist nicht mehr da und hat einer Dame in Schwarz Platz gemacht, die gestelzt spricht und einen Reifrock trägt, unter dem eine italienische Familie samt Großmutter Platz hätte, aber klar, es ist eine Oper, sie singt jetzt pathetisch und rollt Töne über die faltige Zunge, war ja klar. Salzburg hat 150.000 Einwohner lerne ich aus dem Off, und morgen, wenn ich auf dem pinken Kissen durchs Land fahre, dann werde ich vielleicht wach, wenn wir in Salzburg halten, aber ich werde nicht an die schwarze Frau im Reifrock denken, sondern an die Vergangenheit, vor allem dann, wenn meine Augen auf den breiten Fluss fallen, der unter der Burg liegt, in dem meine Seele einst Schiffbruch erlitt. Es gibt Tage, da denkt man an Menschen, die es eigentlich nicht mehr gibt, die früher vielleicht mal wichtig waren, aber heute keine Rolle mehr spielen, nicht mal eine Nebenrolle, oder vielleicht doch, aber ihre Bühne ist irgendwo in der Dunkelkammer des Herzens, auf deren Tür steht „Zutritt verboten“, und ich halte mich dran, sonst würde es ja noch dunkler werden hier, in dieser Nacht, hier, jetzt, wo der Regen leise fällt und meine Wäsche auf dem Balkon ebenso zäh trocknet wie der kirschrote Blutnagellack auf meinen Nägeln. Ach nein, der Lack ist jetzt trocken.

Bücher, blassgelb, mit J. mittendrin

anhaengerIch wurde groß mit unzähligen gelben Buchseiten, umfangen von fremden Jahreszahlen und Geschichten, die vertraut erzählten, aber fern waren. Bücher, auf die ich damals stolz war, Bücher, die mir heute noch mehr erzählen. Nicht nur ihre Geschichte, sondern auch ihre Herkunft. Sie sind vergilbt, dünnblättrig, zerlesen, manchmal ohne Jahreszahlen, manchmal mit schlechter Geschichte, aber ich lese sie, damals wie heute, und ich fahre in Zeitlupe nach hinten, nach damals, nach drüben, dort, wo meine Mutter Bücher lieben lernte, aber viel zu wenig bekam, weil der Krieg seine Spuren hinterlassen hatte.

Die Nacht mag mich nicht, ich kann es spüren, sie lässt mich nicht ruhen, aber warum denke ich an alte Bücher, die keiner mehr liest, die keiner mehr kennt, deren Worte ich murmeln kann, aber nur noch in Antiquariaten finde, aber nicht bei Wikipedia? Die Zeit schreitet, das Leben wird dünn, nicht die Luft, die ist noch grau.

Heute morgen, nach dreieinhalb Tassen Kaffee, da musste ich weinen, mit ein bisschen wenig Grund, den ich nicht nenne, und ein bisschen mehr Sorge, um die ich weiß. Alt werden, das weiß ich, ist greifbar, fühlbar, spürbar, aber wenn ich ungeschminkt und in Schlabberklamotten Zigaretten kaufe, dann rührt das niemanden, ich zeige oft meinen Ausweis, und dann frage ich mich, ob das Leben mich verschont, warum darf ich hie und da wie 16 wirken, wenn meine Eltern alt werden?

Der Tod sitzt in meinem Herzen, und wer darüber lacht, hat keine Ahnung, und ich erst recht nicht, und während ich das tippe, muss ich lachen, denn ich wollte über J. schreiben, aber ich tue es erst jetzt.

„Ich hab heute darüber nachgedacht, ob wir beide uns einen neuen Anhänger für unsere Armbänder kaufen“, sagte ich, und J. sprach gleich von Eheringen für uns, von einem Band zueinander, einem Schmuckstück füreinander und meinte: „Kein Mann kann das, was wir haben, je übertreffen“, und ich, ich wurde ein kleines bisschen wehmütig, weil Glück nie an meiner Seite ist, auch das gemeinsam erlebte mit J. nicht, und ich hadere und bange vor dem, was kommt.

In wenigen Tagen, „noch neun mal schlafen“, stehe ich wieder vor J., und dann bin ich an ihrer Seite, wenn ihre Tochter eingeschult wird. Dort drüben, in meinem unaufgeräumten Wohnzimmer, da stehen stapelweise alte, gelbseitige Bücher, und eines davon, von meiner Mutter gelesen, von meiner Schwester gelesen, von mir gelesen – das werde ich in Seidenpapier schlingen und J.’s Tochter mitbringen. Keine Schultüte, kein Geld der Welt kann diesen Wert ersetzen oder auf die Waage legen, auf eine Waage, deren einziges Gewicht meine Tochter wäre, der ich ein solches Buch schenke, aber letztlich ist es ja so, denn J.’s Tochter ist meine, genauso wie J. ich ist und ich sie bin. Und das Buch, das lesen wir zu dritt, solange wir es können.

Und wenn nicht, dann bleibt uns der Anhänger, der silberne, der goldene, den ich mal vererben werde. Nicht an meine Tochter, nein. Sie wissen schon, an wen.

anhaenger

Nellas Niemandsland

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Die Vergangenheit im Niemandsland

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Zuletzt aktualisiert: 26. Jul, 12:22

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